Home Run

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Nach wie vor versetzen KI-Phantasien die maßgeblichen Börsen der USA in kollektive Begeisterung. Unverblümt wird ein neues Zeitalter ausgerufen, vergleichbar mit der Nutzbarmachung der Elektrizität oder dem Aufbau des Internets. Selbstverständlich ruft das zu Recht Skepsis hervor. Je mehr Erfahrung ein Marktteilnehmer mit den 1.001 bereits erzählten Börsengeschichten gemacht hat, um so allergischer muss er mit Ablehnung auf das an den Börsen skizzierte Wunderland reagieren. Der zentrale und immer wiederkehrende Einwand lautet: „Die Bäume wachsen nicht in den Himmel.“ Aber, es gibt ein Problem. Einige Bäume sind in diese vermeintlichen Himmel gewachsen, und die Faktenebene hat mit explodierenden Unternehmensgewinnen dieses Frühlingsmärchen bestätigt. Ein erster Versuch im April, das Fundament der KI-Story mit fallenden Kursen zu untergraben, wurde damit wirkungsvoll ausgehebelt.  

 

Intakte Storyline

Wir haben tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, etwas Undenkbares zu tun und den Marktkommentar, den wir vor drei Monaten am Ende des ersten Quartals geschrieben haben, jetzt nochmals zu verwenden. Der Grund für solch einen Einsatz der Copy-and-Paste-Funktion hätte die bis zum Sommerbeginn 2024 unverändert intakte Storyline des Börsengeschehens sein können: Nach wie vor versetzen KI-Phantasien die maßgeblichen Börsen der USA in kollektive Begeisterung. Unverblümt wird ein neues Zeitalter ausgerufen, vergleichbar mit der Nutzbarmachung der Elektrizität oder dem Aufbau des Internets. Selbstverständlich ruft das zu Recht Skepsis hervor. Je mehr Erfahrung ein Marktteilnehmer mit den 1.001 bereits erzählten Börsengeschichten gemacht hat, um so allergischer muss er mit Ablehnung auf das an den Börsen skizzierte Wunderland reagieren. Der zentrale und immer wiederkehrende Einwand lautet: „Die Bäume wachsen nicht in den Himmel.“ Aber, es gibt ein Problem. Einige Bäume sind in diese vermeintlichen Himmel gewachsen, und die Faktenebene hat mit explodierenden Unternehmensgewinnen dieses Frühlingsmärchen bestätigt. Ein erster Versuch im April, das Fundament der KI-Story mit fallenden Kursen zu untergraben, wurde damit wirkungsvoll ausgehebelt.

Selbstverständlich haben wir den Text des Marktkommentars dennoch neu geschrieben und das Geschehen dabei in einen anderen Kontext gestellt. Aber den Subtitle (siehe oben) haben wir tatsächlich noch einmal verwendet. Die Idee war so außergewöhnlich und gleichzeitig zutreffend, dass wir ihr nicht widerstehen konnten.

Und weil es so ist, dass alle grundsätzlichen Feststellungen in den vergangenen drei Monaten ihr Verfalldatum nicht überschritten haben, laden wir dazu ein, den Vorläufer dieses Sommer-Marktkommentars noch einmal zu lesen.

 

Anknüpfungspunkt

Der Schlusspunkt dieses Kommen­tars hat den Treibstoff der aktuellen Rallye benannt. Es ist das Momen­tum der US-Mega-Techs. Natürlich wird jedes Momentum irgendwann brechen. Zur Jahresmitte 2024 ist es aber nach wie vor intakt und hat Home Runs von gleich mehreren Aktien und ebenso von zwei G&W-Fonds ermöglicht. Es war daher richtig, nicht vorzeitig an den Spiel­feldrand zu gehen, sondern im Spiel zu bleiben. Um dessen Mechanis­men im zweiten Quartal 2024 zu be­schreiben, hat uns der Terminus „Home Run“ für diesen Marktkom­mentar zum Baseball, und damit zu einer durch und durch amerikanisch geprägten Sportart, geführt.

 

“Seit dem Frühjahr 2016 haben Momentum-Home-Runs unserem US-Fonds dreimal Flügel verliehen.”
Martin Weinrauter

 

Auch wenn die Popularität von Base­ball in den USA seit dem zweiten Weltkrieg zu Gunsten von Ameri­can Football und Basketball gelitten hat und seine alles beherrschende Position im US-Sport aufgeben musste, so ist dieses Schlagballspiel immer noch ein maßgeblicher Wirt­schaftsfaktor. Durch die große An­zahl von Spielen in einer Saison, die vom Frühjahr bis zum Herbst dau­ert, zieht Baseball Jahr für Jahr mehr Zuschauer in die Arenen als jeder andere Ligabetrieb weltweit. Während diese Sportart die US-amerikanische Kultur durchdrun­gen und für viele Lebenssituationen Spuren im Sprachgebrauch hinter­lassen hat, reicht es in Deutschland wohl nur bis zum Begriff Home Run.

Ein Home Run bezeichnet den Lauf des zentralen Angriffsspielers (Bat­ters) über alle drei Bases des quad­ratischen Infields zurück zur Home Plate. Bei einer Seitenlänge von je­weils 90 Fuß kann das je nach Spiel­situation zu einem sehenswerten Sprint von insgesamt 110 Metern führen. Die Chance auf solch einen Home Run entspringt dem Duell zwischen Pitcher und Batter. Der Spieler der Feldmannschaft (Pit­cher) versucht den Ball über eine Entfernung von 18 Metern durch die Strike Zone oberhalb der 43 cm brei­ten Home Plate zu werfen. Sein Cat­cher muss diesen Ball fangen kön­nen. Kann dies der vor ihm positio­nierte Batter der Offensiv-Mann­schaft verhindern, indem er den Ball wegschlägt, so kann er für seinen Lauf um die Bases den Zeitraum nut­zen, den die Defensive braucht, um den Ball unter ihre Kontrolle zu be­kommen.

 

Momentumstrategien leben von Home Runs

Eine Momentum-Strategie folgt den Aktien oder Marktindizes mit der höchsten Wertentwicklung. Die Grundüberlegung der Strategie be­ruht auf statistischen Auswertun­gen, und diese Daten besagen, dass die Wahrscheinlichkeit der Fortset­zung eines Trends höher ist als sein Abbruch. In der Realität des Alltags sind die Phasen von stabilen Trend­verläufen und relativ frühzeitigen Trendabbrüchen unregelmäßig ver­teilt. Je häufiger die Finanzinstru­mente ausgetauscht werden müssen, um so instabiler sind auch die Trends. Die Wertentwicklung einer Momen­tum-Strategie wird in diesen Zeit­räumen im Vergleich zur Wertent­wicklung eines vergleichbaren Index unterdurchschnittlich sein. Ganz anders sieht es aus, wenn die Groß­wetterlage stabil bleibt und die Ak­tien mit der stärksten Wertentwick­lung in der Vergangenheit diesen Status auch in der Gegenwart Tag für Tag weiter fortsetzen können.

G&W setzt den Faktor Momentum seit dem 4. April 2016 im hauseige­nen Amerikafonds ein. Der Fonds investiert jeweils ein Drittel seines Anlagevermögens in den Dow Jones Industrial Average (DJIA), den S&P 500 und den NASDAQ-100. Wäh­rend sich die DJIA- und S&P 500-Drittel ausschließlich auf das Risi­komanagement konzentrieren, wur­de das Risikomanagement des NASDAQ-100-Drittels mit einem Chancenmanagement verbunden. Investiert wird daher nicht in alle Aktien des NASDAQ-100, sondern in die zehn Aktien des Index mit dem höchsten Momentum.

Seit dem Frühjahr 2016 haben Mo­mentum-Home-Runs dem Fonds dreimal Flügel verliehen. In 2016 nahm der Grafikkartenhersteller NVIDIA seinen ersten Anlauf. Bis Ende September 2018 wurde das Unternehmen von einer durch die Decke schießenden Nachfrage nach seinen Grafikkarten überrannt. Bit­coin Mining war zum Geschäftsmo­dell geworden und die Grafikkarten des Unternehmens waren in der Lage, die entsprechenden Anforde­rungen besser zu erfüllen als jede Alternative, die auf dem Markt an­geboten wurde. Wer damals einen PC für Computer-Spiele bauen woll­te, musste feststellen, dass die NVI­DIA-Grafikkarten für das nächste Halbjahr ausverkauft waren. Ein zweiter Home Run des Fonds gelang direkt im Anschluss an den Corona-Crash, und im Mittelpunkt dieser Rallye verzehnfachte sich der Akti­enkurs von Tesla.

In Baseball-Fachbegriffen ausge­drückt war in diesem Jahr erneut NVIDIA der „Batter“ auf dem Spiel­feld. Der Ball des Ertragswachs­tums wurde vom Unternehmen zen­tral und mit voller Wucht getroffen und befindet sich jetzt schon so lan­ge außerhalb des Zugriffs der Gravi­tationskräfte, dass allen Spielern der Offensiv-Mannschaft auf dem Feld etwas ganz Besonderes gelang: ein „Inside-the-park Grand Slam“. Zurückübersetzt in das Börsenge­schehen bedeutet dies, dass der Ball im Spielfeld KI bleiben konnte und es allen Spielern der Angriffsmann­schaft auf den Bases (Unternehmen aus der Branche KI) möglich war, die Home-Plate zu erreichen und damit erfolgreich sein zu können.

 

Goldrauch

Wer kennt sie nicht, die Bilder vom großen Goldrausch in Kalifornien? Menschen aus aller Welt zog es zwi­schen 1848 und 1854 in den Golden State. Profitiert haben in den meis­ten Fällen diejenigen, die Ausrüs­tung zu hohen Preisen verkaufen konnten. In dieser Rolle fand sich NVIDIA bereits einmal um das Jahr 2017 herum, als sie die besten Werk­zeuge für das Bitcoin-Mining be­reitstellen konnten.

Man glaubt es kaum, aber in diesem Fall wiederholt sich die Geschichte und erneut gelingt es dem Unterneh­men, in einem schwindelerregenden Ausmaß zu profitieren. Die großen Mega-Tech-Konzerne haben in den vergangenen Jahren Berge von Li­quidität angehäuft und sehen jetzt ihre Chance, über den Bau immer neuer Rechenzentren eine führende Position in der Entwicklung des künftigen KI-Marktes erobern zu können. Kaufkraft und der Wille, sie jetzt einzusetzen, trifft auf einen be­grenzten Markt. Es gibt keine Alter­native. Die Grafikchips, mit denen sich viele Rechenprozesse parallel verarbeiten lassen, werden NVIDIA daher ohne Blick auf den Preis aus den Händen gerissen. Der Verkäufer, der solch einen Markt beherrscht, ist ein Gewinner.

Das Ausmaß ist so groß, dass hier­von die Entwicklung der S&P 500 Index maßgeblich beeinflusst wird. Der Vergleich von zwei Charts zeigt es. Der kapitalmarktgewich­tete S&P 500 (es ist der allseits be­kannte klassische Index) steigt seit fast einem Jahr deutlich stärker als der S&P 500 Equal Weight, in dem alle 500 Aktien gleich gewichtet werden. Die stark im Index mit ih­rem Marktwert gewichteten Mega-Tech-Aktien haben also den gan­zen Index nach oben gezogen.

 

The End

Am Ende muss jeder Hype durch diese Tür. Es ist ein Klassiker, spätes­tens seit dem Hit von The Doors aus dem Jahr 1967. Als Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit könnte man den Kursverlauf der Wasserstoff-Ak­tien anführen oder auch BioNTech. Noch näher liegt es, sich den Kurs von NVIDIA ab Oktober 2018 anzu­sehen. Denn natürlich bleibt es bei der eingangs zitierten Sentenz: „Die Bäume wachsen nicht in den Him­mel.“ Aber wie geht man damit um?

Man könnte einer Marktentwick­lung, in der das Außergewöhnliche geschieht, grundsätzlich fernblei­ben. Was schade wäre. Aber schließ­lich können die Umkehrpunkte dieser Bewegungen ein brisantes Ausmaß erreichen. Falls man sich mit diesen Risiken nicht auseinan­dersetzen möchte, verbietet sich je­der Versuch eines Home Runs von selbst. Man kann aber auch Mo­mentum, also dem Fahren auf der linken Autobahnspur, einen ange­messenen Platz im gesamten Ver­mögensmix zubilligen, die Risiken konsequent managen und auf dieser Grundlage den ein oder anderen Home Run zulassen. Wenn er dann und wann tatsächlich möglich wird, kann man ihn anstaunen und ihm zujubeln, so wie es die Amerikaner beim Baseball-Spiel handhaben. Diese Überschrift steht nicht nur für eine beliebte Show zur Prime-time im Samstagabendprogramm des deutschen Fernsehens, sie steht auch für eine extreme Spannung an den Börsen. Groß heißt nicht unbedingt erfolgreich. Die Spielshow zeigt es. Auch die Daten der Börsen lassen keinen anderen Schluss zu. Über einen langfristigen Zeitraum betrachtet waren die größten Unternehmen an der Börse häufig Underperformer. Aktuell sind sie es nicht. Der KI-Hype hat die größten Größen der US-Börsen noch viel größer gemacht, und der Schwung dieser Bewegung hat bisher nicht nachgelassen.

Diese Outperformance über einen längeren Zeitraum ist untypisch und wie immer wird die Frage gestellt, ob diesmal etwas ganz Neues unterwegs ist, das diese Abweichung von historischen Erfahrungen auf Dau-er rechtfertigen wird. Oder eben nicht, und so bleibt die Spannung bis auf weiteres bestehen: die „Magnificent Seven“ in den USA (wir sind im Marktkommentar vor drei Monaten auf diese sieben Aktien eingegangen) vs. S&P 500 und NASDAQ-100 (deren Schwergewichte diese Aktien sind) und in Deutschland exemplarisch DAX vs. MDAX.

Am Ende wird es einfach sein. Wenn das Momentum der großen Werte abbricht, dann wird es auch mit einer Trendwende des Marktes zusammenhängen. Aber bis dahin gilt eben-falls, dass Momentum enorm stabil sein kann und die typisch amerikanischen Home Runs ermöglicht. Das Geschrei während eines Home Runs ist groß. Das anschließende Geschrei ebenfalls. Wir lassen uns von beidem nicht beeindrucken, denn es bleibt dabei: Wir folgen dem Markt.