Zwischen Erwartung und Angst
Konjunktureller Nachholbedarf bei hoher Liquidität der Verbraucher, staatliche Aufbauprogramme und niedrige Zinsen liefern den Treibstoff für steigende Börsen. Aber vielleicht ist all das zusammen zu viel des Guten?
Börsenängste
Es wird nie anders sein. Die Angst spielt an der Börse immer mit. Manchmal präsentiert sie sich in der Hauptrolle wie in den mittlerweile fast schon vergessenen vier Wochen des Coronacrashs im Spätwinter 2020. Dann und wann wird ihr nur eine Nebenrolle zugebilligt. Es gibt auch Zeiten, in denen scheint sie in den Kulissen verschwunden zu sein. Börsenprofis sind der Auffassung, dass es gerade dann besonders gefährlich wird.
Angst wird im Allgemeinen als diffuses Gefühl wahrgenommen. An den Börsen lässt sich ihre Fiebrigkeit allerdings konkret messen. Die berechenbaren Schwankungen der Börsenpreise aus dem zurückliegenden Zeitraum bilden einen Ursprung für diese Berechnungen und am Ende zeigt der Volatilitätsindex eine Zahl, deren Wert die aktuellen Erwartungen der Börsenteilnehmer an die zukünftige Schwankung der Kurse anschaulich macht. Nach dem rekordhohen Corona-Ausschlag auf der Angstkurve wird aktuell mit niedrigen Schwankungen gerechnet – was aber gar nichts bedeutet. Hier und jetzt heißt bei diesem Index tatsächlich hier und jetzt. Von jetzt auf gleich kann allerdings ein anderes Bild entstehen und der Pulsschlag der Börsen vom Ruhemodus direkt in einen Sprint übergehen.
Inflation
Das größte anglo-amerikanische Angstthema der Börsen heißt Depression, verbunden mit einer Deflation. Die Corona-Lockdowns hätten zu solch einem Einbruch der Wirtschaft ohne absehbares Erholungspotential führen können, aber die beherzten Maßnahmen der Staaten und Zentralbanken haben es verhindert. Genau diese Maßnahmen führen nun zur German Angst vor der Inflation. Diese Karte wurde im ersten Halbjahr 2021 bereits mehrfach ausgespielt. Der erste Anlauf erfolgte über die Bezugnahme auf Erfahrungen aus der Vergangenheit. Zu viel Geld kommt in den Kreislauf. Zu viel Nachfrage hat sich aufgestaut und heizt jetzt den Konsum an. Förderprogramme der Staaten werden ihr übriges tun. Die Argumente sind schlüssig und so hat auch die Börse darauf ein paar Tage lang mit fallenden Preisen reagiert und die Schwankungserwartungen in die Höhe schnellen lassen. Das Thema hat im ersten Anlauf aber keine Mehrheit bei dem Börsenteilnehmern gefunden. Als Inflation etwas später dann auf der Faktenebene in Zahlen greifbar wurde, erfolgte nochmals eine Debatte im Markt über Ausmaß und Auswirkung der Inflation auf die Kurse von Aktien und Anleihen. Die Energiepreise waren angestiegen. Einige Industriemetalle wie Kupfer standen auf Allzeithochs. Der Bauholzpreis war explodiert. Der Schuldenstand ist hoch. All diese Themen bieten Raum für Geschichten und diese Geschichten beziehen sich in Deutschland immer wieder auf die tief in den kollektiven Erinnerungen verwurzelten Hyperinflationserfahrungen des vergangenen Jahrhunderts. Auch nach einhundert Jahren ist nichts davon vergessen.
Die Zentralbanken sind mit Blick auf die Inflation bisher gelassen geblieben. Die Daten deuten eher auf eine temporäre Spitze in der Inflationsentwicklung hin, nicht aber auf die typischen Lohn-Preis-Spiralen einer sich selbst erhaltenden und hochschaukelnden Dauerinflation. Der Grund für die aktuell relativ hohen Inflationszahlen kann auf relativ niedrige Preise einiger Inflationstreiber während des Höhepunkts der Coronakrise zurückgeführt werden. Ein Jahr ist das jetzt her. Mit diesen Zahlen werden die aktuellen Niveaus verglichen. Würde man keine Jahreswerte vergleichen, sondern Zweijahreswerte, würden die Ergebnisse des Vergleichs recht entspannt aussehen. Vermutlich ist dies der Grund dafür, dass die Angst vor Inflation die Märkte bisher nicht nachhaltig unter Druck setzen konnte.
Börsenentwicklung
Betrachtet man die Performance des zurückliegenden Frühlingsquartals an der deutschen Börse, dann wird man den Ertrag als überdurchschnittlich positiv werten können. Der langfristige Durchschnittsertrag von Aktien liegt im Jahr zwischen sechs und acht Prozent. Die Zahl hängt vom gewählten Zeitraum ab. Er sollte idealerweise einen kompletten Börsenzyklus umfassen. Startet die Berechnung an einem Börsenhoch und landet in der Nähe eines Kurstiefs, dann werden dabei ganz andere Zahlen herauskommen, auch wenn viele Jahre und damit statistische Relevanz dazwischenliegen. Verteilt auf vier Quartale würden diese sechs bis acht Prozent pro Jahr nur zu einem etwa halb so hohen Ergebnis der deutschen Börse führen wie in den vergangenen drei Monaten.
Ein Quartal selber und seine Performance geben aber nicht viel her für eine sachgerechte Kommentierung. Erst Vergleiche mit anderen Bezugsgrößen und Zusammenhängen machen das Geschehen greifbar. Vergleicht man den Deutschen Aktienindex der 30 großen Aktien (DAX) mit der Wertentwicklung der mittelgroßen Aktien, dann fällt auf, dass die zweite Reihe (MDAX) erfolgreicher unterwegs war. Der Grund dafür ist einfach zu finden. Das Ergebnis des DAX war im ersten Quartal ein Ausreißer nach oben. Es lag daran, dass Mitte Februar 2021 einige stark zurückgebliebene Aktien mit starker Gewichtung im Index, z. B. Automobilwerte, in einer explosiven Branchenrotation angesprungen sind. Andere Börsenindizes – z. B. Australien oder auch der NASDAQ-100 in den USA – haben wie der deutsche MDAX im zweiten Quartal 2021 bessere Ergebnisse erzielt als die 30 großen DAX-Werte. Aber auch dies sagt über die Zahlen hinaus nicht viel aus. Quartalsergebnisse sind Zufälle, bestimmt durch die beiden Bestimmungspunkte am Anfang und Ende des Zeitraums.
Ein aussagefähiges Bild entsteht erst, wenn man als Betrachter ein paar Schritte zurücktritt. Bereits ein Zeitrahmen von zwei Jahren ermöglicht aktuell dem darin entstehenden Bild eine verwertbare Aussage, denn es bildet sich mit dem Kursplateau vor dem Coronacrash ein Horizont, an dem eine Orientierung möglich ist. Jeder Zeitraum von aktuell bis zu 15 Monaten ist nur eine Verzerrung des realistischen Bildes, denn der größte Teil dieser Performance gehört zur Erholungsphase der im Coronacrash gefallenen Kurse zurück auf ihr altes Kurshoch.
Rückblick
Einerseits liegen also fünfzehn gute Performancemonate hinter uns. Sie bedeuten für sich allein gesehen allerdings nicht viel, denn ihnen voran gingen vier Wochen eines Kursabsturzes, wie ihn die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Wer bis dahin die Angst an den Börsen noch nicht kennengelernt hatte, der konnte ihr hier begegnen. Der Volatilitätsindex jedenfalls hat einen rekordverdächtigen Wert angezeigt. Es war die Angst von der größten Rezession seit einhundert Jahren. Damals, in der großen Weltwirtschaftskrise, fielen die Börsen um ca. 85 %. Soweit kam es nicht und als G&W-Kunde brauchte man diese Angst – vor dem, was hätte passieren können, wenn die Staaten und Zentralbanken nicht mit unfassbaren Mitteln eingegriffen hätten – auch nicht zu haben. Man konnte der Angst vom sicheren Rand des Spielfeldes aus zusehen, denn als Risikomanager hatten wir systematisch verkauft. Genau so systematisch sind wir in den Markt zurückgekommen und haben die Performance auf dem Weg nach oben nicht verpasst.
Verpasst haben wir erst seit Mitte Februar 2021 mit einem Teil unserer Strategien einen Teil dieser Performance. Dort, wo wir Chancenmanagement-Modelle eingesetzt haben, konnten sie zunächst nicht dem abrupten Umschaltmanöver der Börsen von den Corona-Gewinnern zu den zurückgebliebenen Aktien und vermeintlichen Nach-Corona- Gewinnern folgen. Es brauchte seine Zeit, bis die G&W-Modelle die neuen Favoriten mathematisch greifen konnten. Mittlerweile ist auch das Chancenmanagement wieder in der Welt angekommen, in der einige der großen Verlierer zu großen neuen Gewinnern geworden sind.
Im ersten Halbjahr 2021 waren daher die G&W-Fonds unsere Gewinnerstrategien, die nicht – oder mit möglichst geringen Anteilen – nach den Chancen einzelner Aktien an den Börsen Ausschau halten. Auch wenn das Management von Chancen langfristig ein probates Mittel ist, um ein enormes Performancepotential heben zu können, im vergangenen Halbjahr konnte dies im größten Momentumabriss der Gewinneraktien seit zwanzig Jahren nicht greifen. Es war das Halbjahr der Indexstrategien.
Strategische Positionierung
Wie also geht man nun als Vermögensverwalter mit diesen Vorgaben um – immer unter der Prämisse, dass man nicht wissen kann, was die Zukunft bringen wird?
Das Potential für weiter steigende Kurse ist einfach zu gut, um sich aus Angst vor möglichen Risiken – wie Inflationserwartungen – aus dem Markt zurückzuziehen. Falls dennoch ein potentieller Auslöser für fallende Kurse an den Börsen den Einfluss gewinnen sollte, um den Markt in einen Abwärtstrend drücken zu können, werden unsere Risikomanagementsysteme das Regime übernehmen und darauf reagieren.
Weil in ihren Anfangsphasen die Erscheinungsbilder von Korrekturen im Aufwärtstrend und Trendwenden nicht voneinander zu unterscheiden sind, hilft nur ein Patentrezept: Diversifikation. Wir diversifizieren dabei nicht nur nach Märkten, sondern auch nach mathematischen Modellen, denn der Gleichlauf der internationalen Börsen hat in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zugenommen. Keine Börse kann sich den großen Kapitalströmen entziehen, wenn die Schalter von Risc-On auf Risc-Off umgelegt werden. Was aber unverändert funktioniert, ist die Verteilung der Chancen und Risiken auf unterschiedlich arbeitende mathematische Modelle. Da Anleihen mit guter Bonität zurzeit keinen Zins und keine Aussicht auf Kursgewinne bieten können, haben diese Modelle nur eine Aufgabe: Sie müssen und sie werden definieren, wie viele Anteile der Kapitalanlagen in Aktien investiert sind oder alternativ in Liquidität oder Anleihen geparkt werden.